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Martensteins Wirkprinzip lässt sich am ehesten veranschaulichen am Beitrag „Über John Lennon“. Raubt uns Gesinnungsgenossen noch die Nachricht den Atem, dass der berühmte ZEIT-Kolumnist über den ermordeten Beatle eine Geschichte im Gepäck hat, „die sonst keiner kennt“, so erfahren wir zunächst leicht irritiert, dass Martenstein zu mehr und mehr Dingen des Lebens keine Meinung mehr habe. Die sich anschließende Gaga-Episode über sein unziemliches Erscheinen auf einer Redaktionsweihnachtsfeier in völlig überheizten Schneestiefeln, lässt die Enthüllungsstory um das erschossene Genie vollends im Winde verwehen. Das Martenstein-Prinzip! Angekündigtes gibt’s prinzipiell nicht. Was man stattdessen aber bekommt, ist oft erhellender – zumindest witziger -, als jedes Programm.
Dies haben inzwischen auch seine Auftraggeber in den Redaktionsstuben mitbekommen, wo man über saftige Martenstein-Honorarforderungen nur noch stöhnt, wie Alice Schwarzer bestätigt, die die hier versammelten 60 plus-Kolumnen mit ihrem Vorwort versehen und veredelt hat. Trotzdem, gäbe es diesen Beobachtungsposten mit dem Look eines Althippies nicht, man müsste ihn schnellstens erfinden. Wer schließlich darf mit seinem peinigenden Knie („Über Mobilat“) derart schamlos und seitenfüllend hausieren gehen? Wer das Abseitige und Abschweifende, das Nichtige im ach so Wichtigen so konsequent feiern. Und wer, außer HM, könnte auch nur annähernd auf den Gedanken kommen, Hitler als eine Art Widerstandskämpfer zu betrachten, nur weil dieser den geliebten jüdischen Arzt seiner Mutter verschonte. Martenstein kann – und darf!
Alice Schwarzer weiß Martensteins „durchgängige Sensibilität für Pornografisches und Menschenfeindliches“ zu schätzen. Der Mann macht sich nicht gemein. Boshaft, ja. Bösartig, niemals! Der Blick seiner Kolumnen, in denen für gewöhnlich nach drei Zeilen auf schlitzohrige Weise der Erzählfaden verlorengeht, erfolgt von unten. Eine wunderbare Perspektive, Hochfahrendes und aufgeblasen Eitles zu enttarnen, wie im Falle des empörten „SPIEGEL“-Kulturchefs, dessen Nationalismus-Begriff von Martenstein ungebührlich ausgeleuchtet wurde. Die Renaissance des Bärlauchs, Meditationen über das Wesen des Buddhismus („Schluritum und mangelnder Ehrgeiz“), in der Abteilung Hypochondrisches wird die lädierte Schulter ausgiebigst beweint. Dann – wie im tragikomischen Falle des spanischen Urlaubsarztes Dr. Mendoza – werden fast schon Hemingwaysche Dimensionen sichtbar. Spätestens hier wird klar, welches Erzähltalent sich hier schon seit Jahren an der Kleinstform abarbeitet –Ravi Unger